Marchocias
Lord of Demons
Der Geisterritter
Eigentlich ist nur meine Freundin Beate schuld. Wenn sie nicht so zickig gewesen wäre, hätte ich vor ein paar Monaten nicht die gruseligste Nacht meines Lebens verbringen müssen ...
Es war ein Samstagabend. Bea und ich waren gemeinsam auf Piste. Finanziell konnten wir beide als zukünftige Rechtanwaltsgehilfinnen keine großen Sprünge machen. Aber meine Freundin hatte ihren Vater immerhin sein Auto abschwatzen können. Daher waren wir motorisiert. Anders wären wir auch nicht in die neue Großdisco gekommen, die ungefähr 30 Kilometer von unserem Dorf entfernt eröffnet hatte. Der letzte Bus in die Richtung fuhr abends um sechs ...
Jetzt aber war es fast Mitternacht. Der Laden begann sich langsam zu füllen. Da erblickte ich plötzlich Pascal!
Mein Ex-Freund war mit seiner neuen Flamme aufgekreuzt. Obwohl wir schon seit einem halben Jahr nicht mehr zusammen waren, gab mir sein Anblick immer noch einen Stich ins Herz.
Ich legte meine Hand auf Beas Schulter.
"Laß' uns abhauen!"
"Nur, weil Pascal gekommen ist?" Meine Freundin hatte ihn also ebenfalls bemerkt. "Mel, hier sind ein paar tausend Leute. Und es gibt reichlich gutaussehende Typen, findest du nicht?"
"Mensch, Bea, ich habe einfach keine Lust auf Pascal und seine ... Mist, da kommt er ja schon!"
Bei der lauten Musik hatte mein Ex unmöglich hören können, was ich Bea ins Ohr gebrüllt hatte. Aber es war, als ahnte er meine Gefühle. Feixend steuerte er auf uns zu, seine eingebildete Tussi im Schlepptau.
"Hallo, Bea, hallo, Mel! Ich wollte euch nur einen schönen Abend wünschen. Amüsiert euch gut ..."
Mit diesen Worten grinste er mich unverschämt an. Dann verzog er sich zum Glück mit seinem Anhängsel Richtung Tanzfläche.
"Fahr' zur Hölle, du Mistkerl!", stieß ich wütend hervor.
"Ich weiß gar nicht, was du hast." Nun meldete sich auch noch Bea zu Wort. "Er war doch richtig nett! Warum kannst du nicht normal mit ihm umgehen, nur weil ihr nicht mehr zusammen seid?"
"Weil er ein Schuft ist, darum! Laß' uns ins FAIR WAY fahren, ja?"
"Wieso das denn? Mir gefällt es gut hier!"
"Ich will aber nicht bleiben, kapierst du das nicht?"
"Und ich bin nicht deine Privat-Chauffeurin!", giftete Bea.
"Wenn das so ist - ich finde schon jemanden, der mich ins FAIR WAY gondelt!", fauchte ich zurück. Mit diesen Worten rauschte ich beleidigt davon. Es kam mir vor, als hätte sich die ganze Welt gegen mich verschworen.
Was bildete sich meine sogenannte Freundin überhaupt ein? Durfte sie über meinen Samstagabend bestimmen? Nur, weil sie ein Auto zur Verfügung hatte und ich nicht?
Ich war jetzt wirklich sauer. Gleichzeitig hatte ein gewisser Trotz von mir Besitz ergriffen. Ich wollte mich unbedingt amüsieren, jetzt erst Recht!
Auf dem Parkplatz wirkte die kühle Nachtluft wie ein Schock auf mich. Mit meinem Minikleid plus modischer Strickjacke war ich ja nicht gerade warm angezogen.
Doch nun lachte mir scheinbar das Glück.
"Hallo, Melanie!"
Ich blickte auf. Sandra winkte mir zu. Ich kannte sie nur flüchtig, aus der Berufsschule. Ich wußte noch nicht einmal ihren richtigen Nachnamen. Müller oder Meier oder so etwas. Jedenfalls ging ich zu ihr hinüber.
"Das ist Peter, mein Freund!" Sandra stellte mir einen schlaksigen Kerl vor, der gerade die Fahrertür seines Lancia aufschloß.
"Wir wollen ins FAIR WAY", fuhr meine Bekannte fort. "Hier ist doch nichts los ..."
Mein Herz schlug schneller.
"Ins FAIR WAY? Echt? Könnt ihr mich mitnehmen?"
"Klar doch", nuschelte dieser Peter. Er zeigte sich plötzlich sehr freundlich. Ich durfte sogar in dem Lancia vorne sitzen. Den Grund dafür bemerkte ich allerdings sehr schnell. Auf diese Weise konnte er nämlich meine in dunklen Strumpfhosen steckenden Beine besser anstarren. Und das, während seine Freundin auf dem Rücksitz kauerte!
Lange ging das natürlich nicht gut.
Peter lenkte den Lancia über Nebenstraßen und Feldwege. Zwischendurch faßte er mir immer wieder ans Knie.
"I ... ich dachte, zum FAIRWAY geht es über die Autobahn!", warf ich schüchtern ein.
"Wenn man unbedingt von den Bullen gekrallt werden möchte ...", grinste Peter. Erst jetzt fiel mir seine Alkoholfahne auf! Ich biß mir auf die Unterlippe. Wie hatte ich nur so dumm sein können? Ich war zu einem Kerl ins Auto gestiegen, der mich nicht nur befummelte, sondern auch noch sternhagelvoll war!
Auf dem Parkplatz hatte er völlig nüchtern gewirkt. Peter gehörte offenbar zu den Trinkern, denen man nicht auf Anhieb anmerkt, wieviel sie intus haben.
Sandras Freund lenkte seinen Lancia über einen unbeleuchteten Feldweg. Links und rechts von uns erblickte ich nur dunkle Tannen.
"Halt' an!", forderte Sandra, als Peter gerade mal wieder mein Bein betatschte.
Gehorsam stieg ihr Freund in die Eisen. Vermutlich dachte er, sie müßte mal für kleine Mädchen. Ich hatte das auch angenommen. Aber ich sollte schnell eines Besseren belehrt werden ...
Ich stieg nichtsahnend aus und klappte den Beifahrersitz nach vorne, um Sandra herauszulassen.
Sie dankte es mir, indem sie mich hart vor die Brust stieß. Ich strauchelte und fiel ins Unterholz.
"Sieh' doch zu, wie du nach Hause kommst, du Miststück!", keifte sie. "Ich werde dich lehren, meinen Freund anzumachen! - Peter, laß' uns fahren!"
Und bevor ich auch nur einen Ton sagen konnte, hatte dieser verflixte Kerl den Motor wieder gestartet. Sandra hüpfte auf den Beifahrersitz und knallte die Tür zu.
Wenig später sah ich von dem Lancia des sauberen Pärchens nur noch die Rücklichter.
Erst jetzt erfaßte ich die Situation richtig.
Ich war allein, mitten in der Nacht, in einem dunklen Waldstück. Und zwar mindestens dreißig Kilometer von meinem Heimatdorf entfernt!
Dieser Gedanke ließ mich in Tränen ausbrechen. Es dauerte eine Weile, bis ich mich beruhigt hatte. Aber dann beschloß ich, das Beste aus der Situation zu machen. Auch dieser Feldweg mußte irgendwo auf eine Straße führen. Von dort aus konnte ich vielleicht nach Hause trampen. Oder wenigstens in den nächsten Ort gelangen ...
Zwar hatte ich auch mein Handy dabei. Aber ich wollte keinesfalls meine Eltern anrufen, um mich abholen zu lassen.
Es gab zu viele Dinge, die ich hätte erklären müssen. Und was für einen Aufstand sie machen würden, wenn ich dann am nächsten Samstag wieder ausgehen wollte!
Ich beschloß, mich lieber selber durchzuschlagen ...
*
Käuzchenrufe erschreckten mich zunächst. Doch nach einer Weile hatte ich mich daran gewöhnt. Da waren allerdings noch andere Tiere, die im Unterholz raschelten. Ich hoffte doch sehr, daß es nur Tiere waren. Aber - was sonst?
Ich spürte immer wieder Tannenzweige, die mich streiften. Dann zuckte ich jedes Mal zusammen.
Nur der Mond spendete ein wenig Licht. Ansonsten mußte ich in absoluter Dunkelheit vorwärts stolpern. So manches
Mal strauchelte ich. Doch zum Glück knickte ich in meinen kniehohen Lederstiefeln nicht um.
Allmählich verlor ich jedes Zeitgefühl. Der Feldweg schien nicht enden zu wollen. Und doch war der Lancia von diesem verflixten Peter in diese Richtung gefahren - oder? Dann mußte hier doch auch irgendwo eine Straße sein!
Mir stiegen schon wieder die Tränen der Verzweiflung in die Augen.
Da ertönte plötzlich eine seltsame Musik. Ich blieb stehen. Hatte ich mich getäuscht? War es nur der Wind, der in den Tannenwipfeln rauschte?
Aber das war es nicht. Die Musik wirkte seltsam altmodisch. Also kein Techno oder so etwas. Aber auch keine Tanzmusik oder Schlager, wie sie manchmal nachts im Radio gespielt werden.
Jedenfalls ging ich in die Richtung, aus der die Töne kamen. Wo Musik gespielt wird, da müssen Menschen sein. Das sagte ich mir damals. Inzwischen bin ich anderer Meinung ...
Ich weiß nicht, wie weit ich in den Wald hineinging. Ein paar hundert Meter waren es bestimmt. Jedenfalls sah ich bald Licht vor mir erscheinen!
Mein Herz klopfte lauter. Die Helligkeit war unstet, flackerte und schmerzte in meinen Augen. Fackeln waren es, die jemand entzündet hatte!
Die Pechlichter beleuchteten ein Ruine, die mitten im Wald auf einer Lichtung stand. Schwarze Mauerreste ragten in die Höhe. Die Natur hatte das Gebäude größtenteils schon zurückerobert. Moose und Gräser wuchsen auf großen Steinquadern, hatten einstmals mächtige Mauern bersten lassen.
Und die Musik erklang immer noch.
Ich fürchtete mich. Aber gleichzeitig wurde ich auch magisch von dem Unbekannten angezogen. Ich mußte einfach wissen, was sich zwischen diesen Steintrümmern abspielte ...
Die Fackeln waren in den Erdboden gesteckt. Sie bildeten ein Dreieck. Und inmitten dieses Dreiecks konnte ich eine Gestalt erkennen.
Ich kniff die Augen zusammen. Es war ganz eindeutig ein Mann, der dort vor mir stand. Aber dieser Mann sah sehr ungewöhnlich aus.
Sein glattrasiertes Gesicht wirkte traurig und gedankenverloren. Er sah gut aus, das muß ich schon sagen. Männlich-kantig, mit kräftigem Kinn und schönen Augen. Seine langen Haare fielen ihm bis auf die Schultern.
Aber sein Körper steckte in einer glänzenden Ritterrüstung!
In den Händen schließlich hielt er ein altertümliches Saiteninstrument. Wahrscheinlich eine Laute oder so etwas.
Ich erinnerte mich, einmal in meinem Geschichtsbuch eine Abbildung davon gesehen zu haben.
Jedenfalls war es diese Laute, von der die seltsame Musik stammte. Der Mann hatte mich nun bemerkt, obwohl ich mich immer noch außerhalb des Lichtscheins der Fackeln aufhielt.
Er ließ sein Musikinstrument in das Gras sinken.
"Kommt näher, holde Jungfrau!"
Er sprach sehr altertümlich, aber ich konnte ihn verstehen. Der Mann in der Ritterrüstung streckte seinen rechten Arm aus. Es war, als ob er mich an einem unsichtbaren Band zu sich hin ziehen würde.
Die Angst hatte mich wieder fest im Griff. Ich hätte fortlaufen sollen. Aber eine Macht, die ich mir nicht erklären konnte, hielt mich fest. Ja, sie sorgte sogar dafür, daß ich mich dem Unheimlichen noch weiter näherte.
Denn gruselig war er. Zugegeben, besonders furchterregend sah er nicht aus. Nicht wie ein Monster im Horrorfilm oder so. Eigentlich war er sogar attraktiv, bis auf die unnatürliche Blässe. Aber er wirkte eben, als wäre er nicht von dieser Welt. Anders kann ich das nicht ausdrücken.
Scheinbar hielt der ganze Wald den Atem an. Die Käuzchen waren verstummt, und auch die kleinen Tiere im Unterholz hatten ihre Aktivität eingestellt.
Eine bedrohliche Stille breitete sich aus, während ich Schritt für Schritt dem Ritter näherkam.
Schließlich stand ich ihm auf Armeslänge gegenüber. Er war so groß, daß er mich um einen Kopf überragte. Ich hatte irgendwo mal gelesen, daß die Menschen im Mittelalter viel kleiner gewesen seien als heutzutage. Demnach mußte der Ritter in dieser Zeit ein wahrer Riese gewesen sein.
Aber - woher wollte ich wissen, daß er wirklich aus dem Mittelalter stammte? Das war doch völlig unmöglich! Wahrscheinlich war ich an einen dieser Typen geraten, die sich mittelalterliche Kostüme anziehen und ihre Fantasyspiele in freier Natur machten!
Diese Erklärung beruhigte mich sehr. Aber nur für wenige Momente.
Denn dann bemerkte ich, daß der Mann nicht blinzelte!
Sein Blick war starr wie der einer Schlange. Ich zitterte am ganzen Leib. Da begann der Ritter wieder zu sprechen.
"Habt keine Furcht, liebliche Rosenblüte! Ihr werdet nach allen Regeln der holden Minne behandelt!"
Ich verstand kein Wort. Aber plötzlich kniete der Mann vor mir nieder. Mit allem hatte ich gerechnet, aber nicht damit.
Unter seinem Umhang zauberte er eine langstielige Rose hervor und reichte sie mir.
Meine Hände zitterten so stark, daß ich die Blume kaum ergreifen konnte. Aber schließlich gelang es mir doch.
Die Rose war echt. Ich roch ihren unverwechselbaren Duft. Und ich spürte ihre Stacheln, die in meine Fingerkuppen drückten.
"D ... danke", brachte ich schließlich hervor.
Der Ritter erwiderte nichts. Er machte eine einladende Handbewegung. Zwischen einigen halb verfallenen Mauern stand eine lange Festtafel. Ich hatte sie vorher nicht bemerkt. Falls sie überhaupt schon dort gewesen war. Ich konnte nicht mehr unterscheiden, was nun Wirklichkeit und was Zauberei war. Eine unwirkliche Atmosphäre umgab mich.
"Nehmt Platz, holde Jungfrau!"
Der Wunsch des Ritters klang mehr wie ein Befehl. Ich beeilte mich, ihm nachzukommen. Schließlich war ich völlig in der Hand dieses seltsamen Wesens. Wer weiß, was er mit mir anstellte, wenn ich mich weigerte!
Gehorsam ließ ich mich auf die grobe Holzbank nieder. Vielleicht würden Holzsplitter meine Strumpfhosen zerreißen.
Aber das war mir in dem Moment herzlich egal.
Plötzlich hatte der Ritter einen Pokal in der Hand. Es war ein schweres Gefäß aus purem Gold, besetzt mit Edelsteinen.
"Aus dem Heiligen Land habe ich diesen Becher mitgebracht", sagte er mit hohl klingender Stimme. "Trinkt den edlen Rebensaft, holdes Kind."
Der Pokal war so schwer, daß ich ihn kaum mit beiden Händen heben konnte.
Aber schließlich gelang es mir doch. Kühl rann der Wein über meine Lippen. Ich war so aufgeregt, daß ich etwas von dem Wein verschüttete. Er tränkte mein Kleid. Aber der größte Teil landete doch in meiner Kehle. Der Wein schmeckte gut, soweit ich das beurteilen konnte. Ich bin keine Weinkennerin.
"Sehr gut", lobte der Ritter. "Somit hat unser Brautmahl begonnen. Noch bevor die Sonne aufgeht, werde ich Euch als meine Gemahlin in meine Gemächer führen!"
Ich glaubte, mich verhört zu haben. Ich sollte einen Geisterritter aus dem Mittelalter heiraten?
Instinktiv sprang ich auf. Ich wollte fliehen.
Doch inzwischen waren zwei weitere Gestalten hinter mir aufgetaucht. Diese Wesen sahen nun wirklich wie Geister aus. Ihre Körper waren feinstofflich. Man konnte halb durch sie hindurchsehen. Aber an ihrer Kleidung und Haartracht waren sie als ehemalige Menschen des Mittelalters zu erkennen.
"Unsere Trauzeugen halten sich schon bereit, verehrungswürdige Rosenblüte", sagte der Ritter. Er nahm nun ebenfalls einen Schluck von dem Rotwein aus dem Pokal. "Es fehlt nur noch der Geistliche, der die Trauung vollzieht ..."
Ich sah einen großen Steinsarg, den ich zuvor nicht bemerkt hatte. Oder wurde dieses Ding von dem Ritter gerade eben herbeigezaubert? Wer konnte das schon sagen?
Jedenfalls bestand der Sargdeckel aus einem Bronzerelief. Es stellte einen bärtigen Mann in Bischofstracht dar.
Und dieses aus Bronze geformte Bildnis begann plötzlich zu leben!
Das war zuviel. Ich schrie und weinte, als ob ich von Sinnen wäre. Dabei bedrohte mich überhaupt niemand. Aber diese übersinnlichen Erscheinungen konnte ich nicht verkraften.
"Beruhigt euch doch, holdes Kind", sagte der Ritter zu mir. Dann nahm er meine Hand und beugte seine Lippen zu einem eleganten Handkuß hinunter ...
*
Ich spürte die Feuchtigkeit an meiner Hand.
Konnte ein Geist so nasse Lippen haben?
Und dann sah ich den Jagdhund, der an meinen Fingern leckte.
Außerdem den Förster in seiner grünen Uniform.
Ich muß wohl unzusammenhängendes Zeug gestammelt haben. Jedenfalls kniete der Mann in Grün sich neben mich ins Gras. Es war noch feucht vom Morgentau. Die Sonne war soeben aufgegangen.
"Sind Sie in Ordnung, junge Frau? Haben Sie hier in den Ruinen übernachtet?"
Ich schaute mich um. Der Ritter war verschwunden. Auch der Pokal und die Trauzeugen, der Tisch und der Sarg des Bischofs. Da waren nur ein paar Mauertrümmer und sonst nichts.
Und ich? Ich hatte mich offenbar zwischen den Ruinen wie ein Kätzchen zusammengerollt. Ich fror, was auch kein Wunder war. Schließlich hatte ich auf dem Waldboden geschlafen, nur in Minikleid und Strickjacke.
"Ich ... ich habe mich verlaufen", sagte ich zu dem Förster. Und dann mußte ich niesen.
Der Forstbeamte nahm mich in seinem Jeep ins nächste Dorf mit. Auf dem Weg zum Auto kamen wir ins Gespräch.
"Die Simonsburg wurde schon vor Jahrhunderten zerstört", erzählte der Förster. "Man sagt, der letzte Besitzer des Anwesens hätte keine Frau mehr gefunden. Deshalb sei die Familie ausgestorben. Und angeblich geistert dieser Ritter immer noch durch die Gegend und sucht nach einer neuen Herzensdame, um seine Sippe weiterführen zu können ..."
Ich nieste gleich zweimal hintereinander. Der Förster führte meine Blässe auf die Erkältung zurück, die ich mir offenbar eingefangen hatte.
Ich habe mit niemandem über mein Erlebnis gesprochen. Schließlich möchte ich nicht für verrückt erklärt werden.
Doch mit dieser anonymen Geschichte habe ich mir alles von der Seele geschrieben.
Aber bis heute weiß ich nicht, ob ich wirklich den Geisterritter gesehen habe. Oder ob ich einfach nur in den Ruinen eingeschlafen bin und einen sehr heftigen Traum hatte ...
Eigentlich ist nur meine Freundin Beate schuld. Wenn sie nicht so zickig gewesen wäre, hätte ich vor ein paar Monaten nicht die gruseligste Nacht meines Lebens verbringen müssen ...
Es war ein Samstagabend. Bea und ich waren gemeinsam auf Piste. Finanziell konnten wir beide als zukünftige Rechtanwaltsgehilfinnen keine großen Sprünge machen. Aber meine Freundin hatte ihren Vater immerhin sein Auto abschwatzen können. Daher waren wir motorisiert. Anders wären wir auch nicht in die neue Großdisco gekommen, die ungefähr 30 Kilometer von unserem Dorf entfernt eröffnet hatte. Der letzte Bus in die Richtung fuhr abends um sechs ...
Jetzt aber war es fast Mitternacht. Der Laden begann sich langsam zu füllen. Da erblickte ich plötzlich Pascal!
Mein Ex-Freund war mit seiner neuen Flamme aufgekreuzt. Obwohl wir schon seit einem halben Jahr nicht mehr zusammen waren, gab mir sein Anblick immer noch einen Stich ins Herz.
Ich legte meine Hand auf Beas Schulter.
"Laß' uns abhauen!"
"Nur, weil Pascal gekommen ist?" Meine Freundin hatte ihn also ebenfalls bemerkt. "Mel, hier sind ein paar tausend Leute. Und es gibt reichlich gutaussehende Typen, findest du nicht?"
"Mensch, Bea, ich habe einfach keine Lust auf Pascal und seine ... Mist, da kommt er ja schon!"
Bei der lauten Musik hatte mein Ex unmöglich hören können, was ich Bea ins Ohr gebrüllt hatte. Aber es war, als ahnte er meine Gefühle. Feixend steuerte er auf uns zu, seine eingebildete Tussi im Schlepptau.
"Hallo, Bea, hallo, Mel! Ich wollte euch nur einen schönen Abend wünschen. Amüsiert euch gut ..."
Mit diesen Worten grinste er mich unverschämt an. Dann verzog er sich zum Glück mit seinem Anhängsel Richtung Tanzfläche.
"Fahr' zur Hölle, du Mistkerl!", stieß ich wütend hervor.
"Ich weiß gar nicht, was du hast." Nun meldete sich auch noch Bea zu Wort. "Er war doch richtig nett! Warum kannst du nicht normal mit ihm umgehen, nur weil ihr nicht mehr zusammen seid?"
"Weil er ein Schuft ist, darum! Laß' uns ins FAIR WAY fahren, ja?"
"Wieso das denn? Mir gefällt es gut hier!"
"Ich will aber nicht bleiben, kapierst du das nicht?"
"Und ich bin nicht deine Privat-Chauffeurin!", giftete Bea.
"Wenn das so ist - ich finde schon jemanden, der mich ins FAIR WAY gondelt!", fauchte ich zurück. Mit diesen Worten rauschte ich beleidigt davon. Es kam mir vor, als hätte sich die ganze Welt gegen mich verschworen.
Was bildete sich meine sogenannte Freundin überhaupt ein? Durfte sie über meinen Samstagabend bestimmen? Nur, weil sie ein Auto zur Verfügung hatte und ich nicht?
Ich war jetzt wirklich sauer. Gleichzeitig hatte ein gewisser Trotz von mir Besitz ergriffen. Ich wollte mich unbedingt amüsieren, jetzt erst Recht!
Auf dem Parkplatz wirkte die kühle Nachtluft wie ein Schock auf mich. Mit meinem Minikleid plus modischer Strickjacke war ich ja nicht gerade warm angezogen.
Doch nun lachte mir scheinbar das Glück.
"Hallo, Melanie!"
Ich blickte auf. Sandra winkte mir zu. Ich kannte sie nur flüchtig, aus der Berufsschule. Ich wußte noch nicht einmal ihren richtigen Nachnamen. Müller oder Meier oder so etwas. Jedenfalls ging ich zu ihr hinüber.
"Das ist Peter, mein Freund!" Sandra stellte mir einen schlaksigen Kerl vor, der gerade die Fahrertür seines Lancia aufschloß.
"Wir wollen ins FAIR WAY", fuhr meine Bekannte fort. "Hier ist doch nichts los ..."
Mein Herz schlug schneller.
"Ins FAIR WAY? Echt? Könnt ihr mich mitnehmen?"
"Klar doch", nuschelte dieser Peter. Er zeigte sich plötzlich sehr freundlich. Ich durfte sogar in dem Lancia vorne sitzen. Den Grund dafür bemerkte ich allerdings sehr schnell. Auf diese Weise konnte er nämlich meine in dunklen Strumpfhosen steckenden Beine besser anstarren. Und das, während seine Freundin auf dem Rücksitz kauerte!
Lange ging das natürlich nicht gut.
Peter lenkte den Lancia über Nebenstraßen und Feldwege. Zwischendurch faßte er mir immer wieder ans Knie.
"I ... ich dachte, zum FAIRWAY geht es über die Autobahn!", warf ich schüchtern ein.
"Wenn man unbedingt von den Bullen gekrallt werden möchte ...", grinste Peter. Erst jetzt fiel mir seine Alkoholfahne auf! Ich biß mir auf die Unterlippe. Wie hatte ich nur so dumm sein können? Ich war zu einem Kerl ins Auto gestiegen, der mich nicht nur befummelte, sondern auch noch sternhagelvoll war!
Auf dem Parkplatz hatte er völlig nüchtern gewirkt. Peter gehörte offenbar zu den Trinkern, denen man nicht auf Anhieb anmerkt, wieviel sie intus haben.
Sandras Freund lenkte seinen Lancia über einen unbeleuchteten Feldweg. Links und rechts von uns erblickte ich nur dunkle Tannen.
"Halt' an!", forderte Sandra, als Peter gerade mal wieder mein Bein betatschte.
Gehorsam stieg ihr Freund in die Eisen. Vermutlich dachte er, sie müßte mal für kleine Mädchen. Ich hatte das auch angenommen. Aber ich sollte schnell eines Besseren belehrt werden ...
Ich stieg nichtsahnend aus und klappte den Beifahrersitz nach vorne, um Sandra herauszulassen.
Sie dankte es mir, indem sie mich hart vor die Brust stieß. Ich strauchelte und fiel ins Unterholz.
"Sieh' doch zu, wie du nach Hause kommst, du Miststück!", keifte sie. "Ich werde dich lehren, meinen Freund anzumachen! - Peter, laß' uns fahren!"
Und bevor ich auch nur einen Ton sagen konnte, hatte dieser verflixte Kerl den Motor wieder gestartet. Sandra hüpfte auf den Beifahrersitz und knallte die Tür zu.
Wenig später sah ich von dem Lancia des sauberen Pärchens nur noch die Rücklichter.
Erst jetzt erfaßte ich die Situation richtig.
Ich war allein, mitten in der Nacht, in einem dunklen Waldstück. Und zwar mindestens dreißig Kilometer von meinem Heimatdorf entfernt!
Dieser Gedanke ließ mich in Tränen ausbrechen. Es dauerte eine Weile, bis ich mich beruhigt hatte. Aber dann beschloß ich, das Beste aus der Situation zu machen. Auch dieser Feldweg mußte irgendwo auf eine Straße führen. Von dort aus konnte ich vielleicht nach Hause trampen. Oder wenigstens in den nächsten Ort gelangen ...
Zwar hatte ich auch mein Handy dabei. Aber ich wollte keinesfalls meine Eltern anrufen, um mich abholen zu lassen.
Es gab zu viele Dinge, die ich hätte erklären müssen. Und was für einen Aufstand sie machen würden, wenn ich dann am nächsten Samstag wieder ausgehen wollte!
Ich beschloß, mich lieber selber durchzuschlagen ...
*
Käuzchenrufe erschreckten mich zunächst. Doch nach einer Weile hatte ich mich daran gewöhnt. Da waren allerdings noch andere Tiere, die im Unterholz raschelten. Ich hoffte doch sehr, daß es nur Tiere waren. Aber - was sonst?
Ich spürte immer wieder Tannenzweige, die mich streiften. Dann zuckte ich jedes Mal zusammen.
Nur der Mond spendete ein wenig Licht. Ansonsten mußte ich in absoluter Dunkelheit vorwärts stolpern. So manches
Mal strauchelte ich. Doch zum Glück knickte ich in meinen kniehohen Lederstiefeln nicht um.
Allmählich verlor ich jedes Zeitgefühl. Der Feldweg schien nicht enden zu wollen. Und doch war der Lancia von diesem verflixten Peter in diese Richtung gefahren - oder? Dann mußte hier doch auch irgendwo eine Straße sein!
Mir stiegen schon wieder die Tränen der Verzweiflung in die Augen.
Da ertönte plötzlich eine seltsame Musik. Ich blieb stehen. Hatte ich mich getäuscht? War es nur der Wind, der in den Tannenwipfeln rauschte?
Aber das war es nicht. Die Musik wirkte seltsam altmodisch. Also kein Techno oder so etwas. Aber auch keine Tanzmusik oder Schlager, wie sie manchmal nachts im Radio gespielt werden.
Jedenfalls ging ich in die Richtung, aus der die Töne kamen. Wo Musik gespielt wird, da müssen Menschen sein. Das sagte ich mir damals. Inzwischen bin ich anderer Meinung ...
Ich weiß nicht, wie weit ich in den Wald hineinging. Ein paar hundert Meter waren es bestimmt. Jedenfalls sah ich bald Licht vor mir erscheinen!
Mein Herz klopfte lauter. Die Helligkeit war unstet, flackerte und schmerzte in meinen Augen. Fackeln waren es, die jemand entzündet hatte!
Die Pechlichter beleuchteten ein Ruine, die mitten im Wald auf einer Lichtung stand. Schwarze Mauerreste ragten in die Höhe. Die Natur hatte das Gebäude größtenteils schon zurückerobert. Moose und Gräser wuchsen auf großen Steinquadern, hatten einstmals mächtige Mauern bersten lassen.
Und die Musik erklang immer noch.
Ich fürchtete mich. Aber gleichzeitig wurde ich auch magisch von dem Unbekannten angezogen. Ich mußte einfach wissen, was sich zwischen diesen Steintrümmern abspielte ...
Die Fackeln waren in den Erdboden gesteckt. Sie bildeten ein Dreieck. Und inmitten dieses Dreiecks konnte ich eine Gestalt erkennen.
Ich kniff die Augen zusammen. Es war ganz eindeutig ein Mann, der dort vor mir stand. Aber dieser Mann sah sehr ungewöhnlich aus.
Sein glattrasiertes Gesicht wirkte traurig und gedankenverloren. Er sah gut aus, das muß ich schon sagen. Männlich-kantig, mit kräftigem Kinn und schönen Augen. Seine langen Haare fielen ihm bis auf die Schultern.
Aber sein Körper steckte in einer glänzenden Ritterrüstung!
In den Händen schließlich hielt er ein altertümliches Saiteninstrument. Wahrscheinlich eine Laute oder so etwas.
Ich erinnerte mich, einmal in meinem Geschichtsbuch eine Abbildung davon gesehen zu haben.
Jedenfalls war es diese Laute, von der die seltsame Musik stammte. Der Mann hatte mich nun bemerkt, obwohl ich mich immer noch außerhalb des Lichtscheins der Fackeln aufhielt.
Er ließ sein Musikinstrument in das Gras sinken.
"Kommt näher, holde Jungfrau!"
Er sprach sehr altertümlich, aber ich konnte ihn verstehen. Der Mann in der Ritterrüstung streckte seinen rechten Arm aus. Es war, als ob er mich an einem unsichtbaren Band zu sich hin ziehen würde.
Die Angst hatte mich wieder fest im Griff. Ich hätte fortlaufen sollen. Aber eine Macht, die ich mir nicht erklären konnte, hielt mich fest. Ja, sie sorgte sogar dafür, daß ich mich dem Unheimlichen noch weiter näherte.
Denn gruselig war er. Zugegeben, besonders furchterregend sah er nicht aus. Nicht wie ein Monster im Horrorfilm oder so. Eigentlich war er sogar attraktiv, bis auf die unnatürliche Blässe. Aber er wirkte eben, als wäre er nicht von dieser Welt. Anders kann ich das nicht ausdrücken.
Scheinbar hielt der ganze Wald den Atem an. Die Käuzchen waren verstummt, und auch die kleinen Tiere im Unterholz hatten ihre Aktivität eingestellt.
Eine bedrohliche Stille breitete sich aus, während ich Schritt für Schritt dem Ritter näherkam.
Schließlich stand ich ihm auf Armeslänge gegenüber. Er war so groß, daß er mich um einen Kopf überragte. Ich hatte irgendwo mal gelesen, daß die Menschen im Mittelalter viel kleiner gewesen seien als heutzutage. Demnach mußte der Ritter in dieser Zeit ein wahrer Riese gewesen sein.
Aber - woher wollte ich wissen, daß er wirklich aus dem Mittelalter stammte? Das war doch völlig unmöglich! Wahrscheinlich war ich an einen dieser Typen geraten, die sich mittelalterliche Kostüme anziehen und ihre Fantasyspiele in freier Natur machten!
Diese Erklärung beruhigte mich sehr. Aber nur für wenige Momente.
Denn dann bemerkte ich, daß der Mann nicht blinzelte!
Sein Blick war starr wie der einer Schlange. Ich zitterte am ganzen Leib. Da begann der Ritter wieder zu sprechen.
"Habt keine Furcht, liebliche Rosenblüte! Ihr werdet nach allen Regeln der holden Minne behandelt!"
Ich verstand kein Wort. Aber plötzlich kniete der Mann vor mir nieder. Mit allem hatte ich gerechnet, aber nicht damit.
Unter seinem Umhang zauberte er eine langstielige Rose hervor und reichte sie mir.
Meine Hände zitterten so stark, daß ich die Blume kaum ergreifen konnte. Aber schließlich gelang es mir doch.
Die Rose war echt. Ich roch ihren unverwechselbaren Duft. Und ich spürte ihre Stacheln, die in meine Fingerkuppen drückten.
"D ... danke", brachte ich schließlich hervor.
Der Ritter erwiderte nichts. Er machte eine einladende Handbewegung. Zwischen einigen halb verfallenen Mauern stand eine lange Festtafel. Ich hatte sie vorher nicht bemerkt. Falls sie überhaupt schon dort gewesen war. Ich konnte nicht mehr unterscheiden, was nun Wirklichkeit und was Zauberei war. Eine unwirkliche Atmosphäre umgab mich.
"Nehmt Platz, holde Jungfrau!"
Der Wunsch des Ritters klang mehr wie ein Befehl. Ich beeilte mich, ihm nachzukommen. Schließlich war ich völlig in der Hand dieses seltsamen Wesens. Wer weiß, was er mit mir anstellte, wenn ich mich weigerte!
Gehorsam ließ ich mich auf die grobe Holzbank nieder. Vielleicht würden Holzsplitter meine Strumpfhosen zerreißen.
Aber das war mir in dem Moment herzlich egal.
Plötzlich hatte der Ritter einen Pokal in der Hand. Es war ein schweres Gefäß aus purem Gold, besetzt mit Edelsteinen.
"Aus dem Heiligen Land habe ich diesen Becher mitgebracht", sagte er mit hohl klingender Stimme. "Trinkt den edlen Rebensaft, holdes Kind."
Der Pokal war so schwer, daß ich ihn kaum mit beiden Händen heben konnte.
Aber schließlich gelang es mir doch. Kühl rann der Wein über meine Lippen. Ich war so aufgeregt, daß ich etwas von dem Wein verschüttete. Er tränkte mein Kleid. Aber der größte Teil landete doch in meiner Kehle. Der Wein schmeckte gut, soweit ich das beurteilen konnte. Ich bin keine Weinkennerin.
"Sehr gut", lobte der Ritter. "Somit hat unser Brautmahl begonnen. Noch bevor die Sonne aufgeht, werde ich Euch als meine Gemahlin in meine Gemächer führen!"
Ich glaubte, mich verhört zu haben. Ich sollte einen Geisterritter aus dem Mittelalter heiraten?
Instinktiv sprang ich auf. Ich wollte fliehen.
Doch inzwischen waren zwei weitere Gestalten hinter mir aufgetaucht. Diese Wesen sahen nun wirklich wie Geister aus. Ihre Körper waren feinstofflich. Man konnte halb durch sie hindurchsehen. Aber an ihrer Kleidung und Haartracht waren sie als ehemalige Menschen des Mittelalters zu erkennen.
"Unsere Trauzeugen halten sich schon bereit, verehrungswürdige Rosenblüte", sagte der Ritter. Er nahm nun ebenfalls einen Schluck von dem Rotwein aus dem Pokal. "Es fehlt nur noch der Geistliche, der die Trauung vollzieht ..."
Ich sah einen großen Steinsarg, den ich zuvor nicht bemerkt hatte. Oder wurde dieses Ding von dem Ritter gerade eben herbeigezaubert? Wer konnte das schon sagen?
Jedenfalls bestand der Sargdeckel aus einem Bronzerelief. Es stellte einen bärtigen Mann in Bischofstracht dar.
Und dieses aus Bronze geformte Bildnis begann plötzlich zu leben!
Das war zuviel. Ich schrie und weinte, als ob ich von Sinnen wäre. Dabei bedrohte mich überhaupt niemand. Aber diese übersinnlichen Erscheinungen konnte ich nicht verkraften.
"Beruhigt euch doch, holdes Kind", sagte der Ritter zu mir. Dann nahm er meine Hand und beugte seine Lippen zu einem eleganten Handkuß hinunter ...
*
Ich spürte die Feuchtigkeit an meiner Hand.
Konnte ein Geist so nasse Lippen haben?
Und dann sah ich den Jagdhund, der an meinen Fingern leckte.
Außerdem den Förster in seiner grünen Uniform.
Ich muß wohl unzusammenhängendes Zeug gestammelt haben. Jedenfalls kniete der Mann in Grün sich neben mich ins Gras. Es war noch feucht vom Morgentau. Die Sonne war soeben aufgegangen.
"Sind Sie in Ordnung, junge Frau? Haben Sie hier in den Ruinen übernachtet?"
Ich schaute mich um. Der Ritter war verschwunden. Auch der Pokal und die Trauzeugen, der Tisch und der Sarg des Bischofs. Da waren nur ein paar Mauertrümmer und sonst nichts.
Und ich? Ich hatte mich offenbar zwischen den Ruinen wie ein Kätzchen zusammengerollt. Ich fror, was auch kein Wunder war. Schließlich hatte ich auf dem Waldboden geschlafen, nur in Minikleid und Strickjacke.
"Ich ... ich habe mich verlaufen", sagte ich zu dem Förster. Und dann mußte ich niesen.
Der Forstbeamte nahm mich in seinem Jeep ins nächste Dorf mit. Auf dem Weg zum Auto kamen wir ins Gespräch.
"Die Simonsburg wurde schon vor Jahrhunderten zerstört", erzählte der Förster. "Man sagt, der letzte Besitzer des Anwesens hätte keine Frau mehr gefunden. Deshalb sei die Familie ausgestorben. Und angeblich geistert dieser Ritter immer noch durch die Gegend und sucht nach einer neuen Herzensdame, um seine Sippe weiterführen zu können ..."
Ich nieste gleich zweimal hintereinander. Der Förster führte meine Blässe auf die Erkältung zurück, die ich mir offenbar eingefangen hatte.
Ich habe mit niemandem über mein Erlebnis gesprochen. Schließlich möchte ich nicht für verrückt erklärt werden.
Doch mit dieser anonymen Geschichte habe ich mir alles von der Seele geschrieben.
Aber bis heute weiß ich nicht, ob ich wirklich den Geisterritter gesehen habe. Oder ob ich einfach nur in den Ruinen eingeschlafen bin und einen sehr heftigen Traum hatte ...